Blut will reden - eine wahre Geschichte von Mord und Maskerade by C.H.Beck

Blut will reden - eine wahre Geschichte von Mord und Maskerade by C.H.Beck

Autor:C.H.Beck [C.H.Beck]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406667695
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Zehn

Es war im Sommer 2002, ungefähr einen Monat vor meinem vierzigsten Geburtstag und dem schrecklichen Unfallwunder mit meinem Sohn Charlie und dem blauen Truck. Ich erinnere mich nicht an das Wetter, nur dass es welches gab. So wie der Rest der Bevölkerung im ganzen Land war ich in Duckstellung gegangen, machte mich auf das nächste Attentat gefasst. Ich erinnere mich nicht an die Schlagzeilen, nur dass sie sehr viel schlimmer hätten sein können. Nach einer kurzen Zwischenstation in Nantucket infolge seines angeblichen Nervenzusammenbruchs, der auch der Grund für seine Bitte war, bei mir auf der Ranch übernachten zu dürfen, lebte Clark jetzt in New Hampshire, wo er Anfang 2000 von New York aus hingezogen war. Er hatte das Anwesen des verstorbenen Judge Learned Hand erworben, eines berühmten liberalen Juristen, von dem ich nichts wusste, außer dass ich vermutlich mehr über ihn wissen sollte. Clark schien stolz auf das Haus zu sein und bat mich beharrlich bei jedem Gespräch, ich möge ihn doch bitte dort besuchen.

Unter anderem ließ ich mich schließlich deshalb darauf ein, weil er mir seit langem wegen einer Romanreihe in den Ohren lag, die er geschrieben hatte und die ich lektorieren sollte, und zwar für ein deutlich höheres Honorar als das, was ich für Shelbys Transport nach New York bekommen hatte. Ich musste ohnehin nach Boston zu einem Treffen mit meinen Redakteuren beim Atlantic. Seit dem Einsturz des World Trade Centers war ich nicht mehr geflogen, und allmählich wurde es Zeit – Zeit sich wieder in die Lüfte zu schwingen, Zeit für Normalität. Trotzdem reagierte Clark auf meine Zusage eher zögerlich, versprach aber seine Beziehungen spielen zu lassen und mir ein Zimmer in seinem Bostoner Club, dem Athenaeum, zu reservieren.

Die Angestellten dort behandelten mich wie einen echten Rockefeller, nicht den unverdient Vorzüge in Anspruch nehmenden Gast eines solchen. Trotzdem konnte ich den Laden nicht leiden. Die Zimmer wirkten irgendwie gespenstisch und luftleer, als hätten die verstorbenen Clubmitglieder die gesamte Luft und Energie abgezogen und mit in ihre Gräber genommen. Clark liebte diese Art von schummrig gelackter Dürre, aber ohne ihn an meiner Seite, ohne seine Angebereien und Lästereien fühlte ich mich fehl am Platz. Princeton hatte ähnlich auf mich gewirkt. Die Dichte der Traditionen lastete auf mir. Ich lag in meinem Zimmer, hatte nichts zu tun, war vom Fliegen noch viel zu aufgekratzt, um zu schlafen, und dachte über die Yankee-Kultur nach, mit der sich Clark so vorbehaltlos identifizierte. In ihrer New Yorker Ausprägung fand ich sie anregend, sie strahlte Glamour aus und war wirklich aufregend, aber im verkniffenen, moralinsauren New England verstörte sie mich. Ich assoziierte Gespenstergeschichten – The Haunting of Hill House von Shirley Jackson und Ähnliches –, auch Hawthornes Erzählungen über unterdrückte Hysterie. Die hier verbreitete Mischung aus Religion und Aufklärung, Tugend und Vernunft ließ mich kalt; sie kam mir blutleer und unmenschlich vor, ein sicheres Rezept für Manien und Kreuzzüge. Learned Hand – was für ein Name! Hing sein Portrait hier irgendwo? Er klang nach einem knochigen, agilen alten Hexenmeister.

Beim Essen mit Robert und Michael, meinen Redakteuren, drehte sich die Unterhaltung um den Irak und den kommenden Krieg.



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